Im Ostergottesdienst am 4.4.2021 um 10.00 Uhr wird die Ausstellung von Dorothee Wittmann-Klemm "Miniaturen" beendet und die Ausstellung "Menschenwürde" von der Augsburger Künstlerin Annedore Dorn eröffnet.
Das fügt sich sehr gut.
In der Reihe der Kreuzkirche "Kunst trotz(t) Corona" werden wir den inneren Zusammenhang der Wertschätzung des Kleinen, "Miniaturen", und der Grundorientierung durch die "Menschenwürde" entdecken. Die gleichnamige Ausstellung von Annedore Dorn hilft uns dabei durch ästhetische Impulse. So entdecken wir die universale Gültigkeit der "Gottebenbildlichkeit des Menschen", von der die Bibel schon auf den allerersten Seiten spricht. Durch die Botschaft der Auferstehung erhält die Menschenwürde Bestand in Ewigkeit. Für uns in der Zeit ist sie Gabe und Aufgabe zugleich.
Einführende Worte der Künstlerin Annedore Dorn zum Ausstellungselement "Menschenwürde":
MEINE ANNÄHERUNG AN DEN BESONDEREN SATZ ART. 1/1 GG
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Art. 1, 1, Grundgesetz)
Dieser Satz ist Philosophie, Religion, soziales, gesellschaftliches Kulturgut und viel Utopie.
Und es lohnt sich, über ihn nachzudenken.
Mein „Nachdenken“ war mit meiner Handschrift, mit dem Schwarz-Weiß-Kontrast, mit dem Stilmittel der Collage Schichtungen zu legen, um Fülle, Leere, Klarheit, Unlesbares, Fragmentarisches des Satzes lebendig werden zu lassen, um immer wieder neu auf den Beginn unseres Grundgesetzes zu blicken.
Seit Jahren beschäftigt mich dieser Satz. Ich habe den Verdacht, dass es mir nicht gelungen ist, seine Tiefe, seine ganze Bedeutung durch meine Arbeiten nach außen zu tragen – was ich aber versuchte.
Annedore Dorn
Einführende Worte der Künstlerin Annedore Dorn zum Ausstellungselement "Das Hohelied der Liebe":
„In meinen Bildern verbergen sich Zitate aus dem „Hohen Lied Salomos“ des Alten Testamentes.
Es sind Lieder, die schon lange vor ihrer christlichen Fixierung im Orient weitergetragen wurden.
Sie zeigen, wie innig Beziehung zwischen zwei Menschen sein kann. Diese Innigkeit ist nur für sie bestimmt – es ist ihr Geheimnis. Ich habe den Text verfremdet in eine Art Geheimschrift.
Sein innerer Reichtum an Erfahrung spiegelt sich im Spiel der Farben. So bleibt das Geheimnis ein Geheimnis.
Mit einer großen Bambusfeder und mit Acrylbinder-Tusche wurden folgende Teststellen auf eine Kunststoffplatte geschrieben, mit Karbon und Sand bestreut und verfremdet, als Druckplatte vorbereitet und mittels Walzendruck auf Büttenpapier übertragen.
Die Verwandlung ist vollzogen!
Grundlagen für die Bilder sind unter anderem folgende Abschnitte:
„Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich. Süßer als Wein ist die Liebe.“
„Mein Geliebter ruht wie ein Beutel mit Myrrhe an meiner Brust.“
„Der Geliebte ist mein und ich bin sein, er weitet in den Lilien.“
„Denn Liebe ist stark wie der Tod, und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig.“
Annedore Dorn
Einführende Worte von Christoph Lindenmeyer, ehem. Leitender Redakteur im Bayerischen Rundfunk:
DER BESONDERE SATZ: DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR (Art.1,1 GG)
„Gibt denn keiner, keiner eine Antwort?“
In Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama „Draußen vor der Tür“ klingt der Grundton des Fremden und Andersartigen, des Zerfalls der Welt und ihrer Grundwerte wie der Abwesenheit Gottes auf. Aber es gibt kein Echo. Der Schrei nach einem Sinn zu leben, bleibt der Schrei in eine unendliche Leere und Stille.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland geben im Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes eine Antwort.
Nach Holocaust und Angriffskrieg mit Millionen Toten, nach dem Entzug der Menschenwürde und der Lebensgrundlagen für Anders-Denkende und Anders-Seiende im Zwangsstaat der rassistischen und nationalistischen Ideologie, nach der Zerstörung der Freiheit für Wissenschaft, Kunst und Meinung, setzt der Artikel 1,1 GG sein massives NIE WIEDER! dagegen.
Das Grundgesetz bleibt nicht bei einem idealistischen Postulat. Es verpflichtet – anders als die Weimarer Verfassung – die staatliche Gewalt in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, also Legislative, Exekutive und Judikative, jegliches Handeln am obersten Verfassungsgrundsatz auszurichten. Der Staat ist der Würde des Menschen verpflichtet. Verstößt er gegen diese Pflicht, kann er verklagt werden.
Wir wissen, dass sich im Zeitalter der digitalen Kommunikation die selektive Wahrnehmung des einzelnen verstärkt: Fakten gelten nicht mehr als Fakten, Verschwörungstheorien verkleben den Umgang mit Information und fake-news stehen gleichberechtigt neben recherchierter Information der journalistischen Qualitätsmedien. Die Gesellschaft spaltet sich, und das Misstrauen gegen politische Eliten wächst, nicht anders als die inhumane Negation des Anspruchs auf Menschenwürde für Fremde, Migranten, Minderheiten, Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer, Politikerinnen und Politiker, Theaterleute und Künstler. Im Umkehrschluss wird geradezu widersinnig beklagt, dass die eigene Menschenwürde angetastet werde.
Angetastet? Demontiert wird sie, klagen die Wutbürger im Netz, durch den Staat, durch das Finanzwesen, durch die Europäische Union, durch den Umweltschutz, durch die scharfen Waffengesetze. Ist Menschenwürde also teilbar? Den einen steht sie zu, den anderen nicht?
Große Worte, so schlicht sie formuliert sind, bedürfen der Konkretion, um nicht zur verschlüsselten Flammenschrift an der Wand hoch über unseren Köpfen zu werden. Damit die Kluft zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit nicht zu tief wird, ist es gut, sie in unsere Alltagssprache und in unser Alltagsverhalten zu verwandeln. Denn es gibt viele Antworten auf den Verfassungsgrundsatz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde: oft sind sie leise, nicht Megaphon-verstärkt, individuell und nicht sozialpolitisch und universal, konkret in Entscheidungen umgesetzt, nicht abstrakte Postulate sondern
Handlungsbeispiele: der Nächstenliebe verpflichtet. Nachbarschaftshilfe, Engagement für sozial Schwächere, Lebensklugheit und Empathie, Einspruch, Widerspruch und – wenn es sein muss – auch Widerstand gegen jeden Akt, die Menschenwürde zu verletzen. Antworten gibt auch die Kunst. Die Musik. Das Theater. Die Literatur. Oder auch Annedore Dorns Bilderzyklus „Der besondere Satz, Art.1,1 – ein Annäherungsversuch“, in den Techniken von Kaltnadelradierung, Druckschrift, Handschrift, Stempeldruck, Montoypie, Collage und Decollage.
Man sollte genau hinsehen. Entziffern. Genau hinhören. Denn es ist ja nicht so, dass keiner, keiner eine Antwort gibt. Es gibt so viele Antworten auf die Frage: Wie macht man das, dieses NIE WIEDER?
Christoph Lindenmeyer
(Christoph Lindenmeyer, geboren 1945 in Berchtesgaden, ist Journalist, Dozent und Autor. Nach seinem Studium der evangelischen Theologie in Erlangen, Heidelberg und München war er Leitender Redakteur im Bayerischen Rundfunk, u.a. als Kulturchef im Hörfunk. Er ist Honorarprofessor für Christliche Publizistik der Universität Erlangen und Mitglied des deutschen PEN-Zentrums. Im Verlag Anton Pustet erschienen: Rebeller, Opfer, Siedler – die Vertreibung der Salzburger Protestanten (2015 und 2016), Der Birnbaum im Pfarrgarten – eine evangelische Gemeinde im Nationalsozialismus (2019) und der Roman Teufelsgasse (2021).)